Laudatio zur Ausstellung „DIE ERSTEN“

von Andreas Reimann

am 26. April 2025 in der WerkstattGALERIE HOHENOSSIG

Als die Rösslers auf die Idee gekommen waren, in ihrem Künstlerhaus einmal  druckgrafische Arbeiten von Günter Richter und Rainer Ilg in einer Gemeinschaftsausstelllung zu präsentieren,  hatten sie dabei nicht die vordergründige Absicht,  zwei Künstler zu Bild kommen zu lassen, weil deren Sujets den Vergleich herausfordern. 

Rösslers wählten die Arbeiten Günther Richters und Rainer Ilgs,  weil die Beiden zu den ersten Künstlern überhaupt  gehörten, die ihre geätzten Kupfer- oder Zinkplatten dem Drucker anvertrauten, nachdem der im April 1980 die Werkstätten für Künstlerische Druckgrafik Leipzig gegründet hatte, um sich weitestmöglich staatlicher Bevormundung zu entziehen.

Also vor nunmehr fünfundvierzig Jahren. Tusch und Blumenstrauß! 

Aber da die Betreiber der Druckwerkstatt und des Künstlerhauses Hohenossig nun einmal den Einfall hatten, ihren eigenen Grund zur Feier hinter den Werken zweier Herren mit gleichem künstlerischen Anspruch zu verstecken, komme ich nicht umhin,  etwas über diese Exposition zu sagen. 

Also: Daß beide Grafiker auf frühen Darstellungen parallel zueinander den ruinösen Zustand Leipziger Architektur thematisierten, ergab sich wohl aus der wachsenden Bestürzung derer, die  den scheinbar unaufhaltsamen  Verfall der, wenn auch beschädigt, dem Krieg entgangenen historischen Bausubstanz zu sehen wagten. 

Trotzdem kann man von den hier präsentierten Grafiken nur jeweils eine einzige ihrer frühen, sehr detailgetreuen Darstellungen  miteinander vergleichen: Günter Richters “Nikolaistraße” und Rainer Ilgs “Hainstraße”. 

Aber wahrscheinlich war schon damals der Beiden Motivation bei der Bildfindung recht unterschiedlich: Richter, Jahrgang ‘21 und in Meißen aufgewachsen,  wird seinerzeit die durch Bombardements lädierte Großstadt mit Entsetzen gesehen haben. Aber es ist seine Sache nicht, durch naturalistische Darstellung der Ruinen Anklage gegen den Krieg zu erheben. 

Ja, er be-klagt nicht einmal das Unwiederbringliche des verlorenen Menschenwerks: er konstatiert es eher mit der düsteren Wehmut der Romantiker. –

Auch Rainer Ilg, Jahrgang 42, ein vielbeschäftigter  Architekt, ätzte in seinem vergleichbaren frühen Blatt Hainstraße seine Ansicht – und dieser Begriff ist doppeldeutig –  vom ruinösen Zustand eines Hauses ins Metall. 

Und nur bei genauem Betracht fällt auf, daß in dem unbewohnbar Erscheinenden  auf Ilgs Blatt doch noch einige Fenster erleuchtet sind, und ich bin mir sicher: der Künstler hat beim Anblick des maroden Gebäudes bereits über dessen Rekonstruktionsmöglichkeiten nachgedacht. –

Die von Richter dargestellte Ruine indes scheint nicht nur unbewohnt, sondern bereits vorm Erstbezug verlassen worden zu sein: Ein Haus, nicht vom Krieg, sondern von natürlichen Verfall zerstört, an dessen Fuß bereits zage die Schlingpflanzen zu wuchern beginnen.  –

Es ist aber nicht nur das erfreulich unterschiedliche Naturell der beiden Künstler, daß sie bei vergleichbarer Motivwahl zu immer unterschiedlicherer Sicht auf die Gegenstände bewegte: mutmaßlich bewirkten  auch die äußeren Lebensumstände, daß sich Ilg in seinen Grafiken zunehmend eigenständiger von den zahlreichen Widrigkeiten seines Arbeitsalltags befreien wollte und  konnte, während Richter sich zum dazumal als pessimistisch gescholtenen Surrealisten entwickelte. 

Denn wenn beispielsweise sowohl in den Biografien Richters als auch Ilgs die Tätigkeit als Messegestalter vermerkt ist, so ist dies eben des Einen Hauptberuf, und des Anderen Lohnarbeit, um sich seinen eigentlichen Beruf finanziell leisten zu können. 

Und es hat auch mit diesen äußeren Umständen zu tun, das Ilg die reale Architektur als eine der großen menschlichen Hervorbringungen genießerisch feiert; Richter dagegen nutzt die in der Wirklichkeit vorhandenen Vorbilder, obwohl  mit äußerster Akribie gezeichnet, radiert oder gemalt, konsequent als Symbole für die Onmächtigkeit menschlicher Bemühungen gegenüber der Natur, die irgendwann das Ihre zurückerobert. 

Wobei es trotz aller Untergänglichkeit nicht ohne Witz ist, wie Richter seine Gehäuse allmählich in den Stein zurückwachsen oder wie Lamellenpilze zerfallen läßt.

Und so wage ich die Mutmaßung: wären beide Künstler vor die Aufgabe gestellt, das Kolosseum in Rom zu zeichnen, so würde Richter es  von Efeu und Steinbrech überrankt und bewachsen mit Pinien und Zypressen wie noch zu Goethes Zeiten darstellen, sozusagen eine der Natur willkommen Nahrung,  während Ilg schon sehr an sich halten müßte, um nicht auf seiner Grafik die ausgebrochenen Mauern dem Original getreu zu ergänzen. 

Aber das ist leider reine Spekulation.

Statt dessen gab Günter Richter leider schon bald die Arbeit an einer Fortsetzung  seines druckgrafischen Werkes zugunsten der Malerei auf.

Doch Rainer Ilg trug, trägt, wird tragen mit unbeirrbarem Eifer Platte um Platte nach Hohenossig, auf daß sich das Spiegelverkehrte ins endgültig Sichtbare wende.

Dabei ist er, der Vielreisende, der gleichermaßen mit Goethe’schem Staunen wie mit dessen heiterer Gelassenheit die Welt zu erkunden sucht, weiterhin beharrlich bemüht, vorzugsweise seine Bewunderung für die Architektur der Vorgekommenen grafisch zu offenbaren.  – 

Aber wie sollte er sein in Metall geritztes Vergnügen vervielfältigen, ohne einen Drucker, ohne diesen Drucker, der ihn die Grundlagen der Aquatintaradierung lehrte, die selbiger wiederum in Zusammenarbeit mit dem experimentierfreudigen Peter Sylvester zur Vollkommenheit entwickelt hatte?

Ohne dieses Druckerpaar, die das ursprünglich schwarz-weiß gedruckte, einem Mappenwerk zugehörige Blatt “Nikolaikirche” als Jubiläumsdruck in den Orginalfarben des Kircheninneren erstrahlen läßt? 

Und es ist natürlich eine anhaltende, bedankenswerte Freude für mich selbst, daß Reinhard Rössler, mit dem ich in unserer aberwitzigen Urzeit im gleichen Betrieb einen damals nützlichen Beruf erlernte,  die Zusammenarbeit von Ilg und mir vermittelte. Es sind bisher immerhin vier großformatige Grafik-Lyrik-Mappen von uns, die in Hohenossig gedruckt wurden! –

Und, nein, ich will jetzt hier nicht die Geschichte des Rössler’schen Unternehmens anfügen, den Sie, die hier Versammelten, wissen eh’ in diesem Hause mehr Bescheid als ich.

Und, nein, ich werde nicht den Versuch unternehmen, über die tausendverschiedensten Varianten der Druckverfahren sprechen: Wer darüber sachkundigst informiert werden will, braucht den Drucker bloß anzustupsen.

Gestatten Sie mir nur noch, ein kurzes Gedicht vorzulesen, das ich für Reinhard Rössler geschrieben habe, aber nunmehr ausdrücklich, wenn auch ohne erst albern zu gendern, auch Jeanette Rössler zusagen möchte: 

DAS ZEICHEN DES DRUCKERS
Selbstbewußt prägt er sein eigenes zeichen
unter den druck auf das büttenpapier,
auf daß bei betrachtung des kunstvollen blattes
man außer dem namen des künstlers erführe
den namen des mannes, der letztlich das bild
ins sichtbare holte. Denn ist erst das kind da,
vergessen die eltern die hebamme schnell. –
Und überdies bürget (ich denke, er weiß es)
der meister mit seinem siegel dafür:
mehr war nicht drin in dem blech!